Nach den Erdbeben suchen Rettungskräfte fieberhaft nach Überlebenden unter den Trümmern. Noch gibt es Hoffnung, doch die Überlebenschancen werden zurzeit stark durch die Kälte beeinflusst.
Nach den verheerenden Erdbeben läuft den Rettungskräften die Zeit davon. Unter den Trümmern werden noch Hunderte Überlebende vermutet, teilweise rufen sie um Hilfe. 50’000 Menschen beteiligen sich an der Suche. Doch wie lange können die Verschütteten überhaupt noch überleben?
«Die ersten 72 Stunden sind entscheidend», sagt Bernd Böttiger, Arzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Wer in dieser Zeit nicht geborgen wird, dessen Überlebenschancen sinken drastisch. 2005 soll eine Frau nach einem Erdbeben in Pakistan mithilfe von Essensresten und Regenwasser zwei Monate unter Geröll überlebt haben. In Bangladesh wurde 2013 eine Frau nach 17 Tagen aus den Trümmern einer eingestürzten Fabrik gerettet, und nach dem Erdbeben in Haiti überlebte ein Mann 14 Tage lang, weil er eine Wasserflasche fand.
Auch aus der Erdbebenregion in der Türkei und in Syrien gibt es bereits unglaubliche Rettungsgeschichten. Eine Frau wurde am Mittwochmorgen in der Südosttürkei nach 52 Stunden lebend geborgen, auch ein achtjähriger Bub hielt so lange durch.
In der syrischen Region Afrin überlebte ein neugeborenes Baby unter den Trümmern. Es war noch mit der Nabelschnur mit seiner toten Mutter verbunden. Bei einem Erdbeben in der Türkei im Jahr 2020 wurde ein Kleinkind 65 Stunden nach dem Unglück erfolgreich gerettet.
Es besteht also durchaus noch Hoffnung für die Verschütteten. Doch solche Geschichten sind eher die wundersame Ausnahme. «Wer direkt beim ersten Erdbeben in der Türkei oder in Syrien verschüttet und noch immer nicht geborgen wurde, dem läuft die Zeit davon», sagt Böttiger. Wie lange ein Mensch unter Trümmern ausharren kann, hängt von vielen Faktoren ab.
Fettreserven spielen entscheidende Rolle
Grundsätzlich gilt: Je besser der allgemeine Gesundheitszustand, desto länger kann ein Mensch verschüttet überleben. Dabei schwankt der Überlebenszeitraum zwischen acht Stunden und zwei Wochen. Eine entscheidende Rolle spielen die Fettreserven am Körper. Sie schützen die Organe und ermöglichen dem Körper, durch Zittern selbst produzierte Wärme besser zu speichern. Kinder und alte Menschen besitzen meist weniger Körperfett und neigen dadurch leichter zur Unterkühlung.
Nach Einschätzung von Stephan Prückner, Direktor des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement in München, verstärkt das derzeitige Wetter in Syrien und in der Türkei die Gefahr für Verschüttete, auszukühlen. Temperaturen um den Gefrierpunkt können bei leichter Bekleidung innerhalb von acht bis 24 Stunden zum Tod führen. «Durch die Absenkung des Blutdrucks und den verlangsamten Herzschlag kommt es innerhalb dieser Zeit oft zu Herzrhythmusstörungen und Kreislaufstillständen», so Prückner. Regen, Wind und kalter Untergrund, wie Betonplatten, können den Auskühlungsprozess noch beschleunigen.
Tod durch Unterkühlung nach Rettung möglich
Besonders tragisch ist es, wenn es zum sogenannten Bergungstod kommt: Dabei stirbt ein Mensch nach der Rettung noch an Unterkühlung. Eine mögliche Ursache ist, dass sich warmes und kaltes Blut durch die plötzliche Bewegung des tagelang starren Körpers bei der Bergung vermischen. Das lässt die Gesamtkörpertemperatur absinken und kann zu Herzkammerflimmern und letztlich zum Tod führen.
Grundsätzlich überleben verschüttete Erwachsene meist länger als Kinder. Durch ihre geringe Körpergrösse würden Kinder allerdings häufiger in Zwischenräumen von Trümmern Platz finden. Häuser stürzen bei Erdbeben oft Stockwerk für Stockwerk ein. Das kann zu Hohlräumen zwischen den Platten führen, die den Verschütteten mehr Sauerstoffzufuhr ermöglichen und Quetschungen vermeiden und damit ihre Überlebensdauer ebenfalls erhöhen.
Keine Flüssigkeit zu sich zu nehmen, würden erwachsene Menschen ohne Vorerkrankungen zwei bis drei Tage aushalten, in Einzelfällen auch ein paar Tage mehr. Ohne Nahrung könnten sie sogar bis zu zwei Wochen auskommen, so Böttiger. Wer jedoch an Verletzungen und vor allem dem damit verbundenen Blutverlust leidet, könnte auch wesentlich schneller am Ende seiner Kräfte sein.
Dabei gehe es manchmal auch um den puren Willen, wie ein Rettungshelfer nach einem Gebäudeeinsturz in Miami sagte. Manche Leute akzeptierten, dass sie verschüttet und eingesperrt seien, und würden sich ihrem Schicksal ergeben, sagte Graham Payne dem britischen Sender BBC. Andere kämpften weiter, egal, wie ihre Lage sei.
Er erklärte auch, dass Rettungsteams mit Radargeräten oder anderen speziellen technischen Geräten nach Überlebenden suchen, die beispielsweise erkennen, wenn der CO₂-Level an einem Ort unter den Trümmern steigt. Im Erdbebengebiet in der Türkei und in Syrien fehlt es aber momentan aufgrund des Ausmasses der Tragödie vielerorts nur schon an den einfachsten Bergungsgeräten, was die Lage für die Verschütteten noch schwieriger macht.