„Ukrainische Jeanne d‘Arc“: Scharfschützin erzählt von Jagd auf russische Offiziere

In der ukrainischen Armee dienen Tausende Frauen an der Front. Eine von ihnen ist die Scharfschützin Ewhenija Emerald. In einem Interview gibt sie sich erbarmungslos gegenüber den russischen Invasoren.

München/Charkiw – Im Ukraine-Krieg bemühen die Verteidiger im Kampf um staatliche Souveränität und Unabhängigkeit auch Heldengeschichten. Eine handelt vom in Bachmut getöteten Kommandanten Dmytro Kotsiubailo, „Da Vinci“ genannt, dem in Kiew Tausende Landsleute die letzte Ehre erwiesen.

Eine andere dreht sich um die „ukrainische Jeanne d‘Arc“, eine berühmte Scharfschützin namens Ewhenija Emerald, die sechs Monate gegen die russischen Truppen kämpfte, ehe eine offenbar unerwartete Schwangerschaft die Instagram-Influencerin aus Kiew in ihrem Pflichtbewusstsein regelrecht ausbremste.

Emerald war in der Ukraine bereits als Geschäftsfrau bekannt. Konkret: Als Schmuck- und Modedesignerin wurde sie als Gesicht ihres eigenen Labels zum Social-Media-Star. Doch der russische Einmarsch am 24. Februar 2022 änderte auch ihr Leben grundlegend. Die „ukrainische Jeanne d‘Arc“, so ihr Kampfname, erzählte dem ZDF in der Doku „Tatort Ukraine – Frauen im Krieg“ jetzt von ihrem vergangenen Jahr im permanenten Kriegszustand.

„Als ich ein kleines Mädchen war, schenkte mir mein Vater ein Spielzeug-Maschinengewehr. Ich lief damit rum und spielte mit den Jungs“, schildert Emerald in dem Beitrag, der in der Mediathek abrufbar ist, von ihrer Kindheit. Als junge Frau machte sie zwar eine paramilitärische Ausbildung, „vor der Invasion lebte ich wie die meisten Ukrainer ein normales Leben und machte Pläne für die Zukunft“, erklärt sie aber, dass sie nicht daran geglaubt habe, jemals wirklich mit dem Gewehr in der Hand kämpfen zu müssen.

Kurz nach Kriegsbeginn meldete sie sich freiwillig. Sie hatte eigenen Angaben zufolge anfangs aber Mühe, den gebührenden Respekt der männlichen Kämpfer zu bekommen. „Ich hatte ein doppeltes Schlachtfeld: Das erste war der Feind, und das zweite waren die Männer in der Armee. Sie haben mich nicht als ebenbürtig angesehen. Vielmehr war ich ein Problem“, erklärt sie in der ZDF-Doku: „Sie dachten, ich sei eine Art It-Girl, das an ein luxuriöses Leben gewöhnt ist. Und dass ich in einer Woche nach Hause laufen würde. Aber das bin ich nicht.“ Emerald setzte sich durch – offenbar unter großen Strapazen.

„Ich habe sehr viel Gewicht verloren, zehn Kilo im ersten Monat. Ich trug ständig eine Menge Ausrüstung, fast die Hälfte meines eigenen Gewichts, rund 25 Kilogramm. Dazu kam noch der Stress, auch der emotionale. Und ich hatte fast keine Periode“, erzählt sie und schildert von familiären Entbehrungen. So habe ihr Ex-Mann ihre gemeinsame Tochter mit in die Westukraine genommen, von dort aus ging es für die Tochter weiter ins Ausland, sagt sie: „Als sie alle in Sicherheit waren, machte das meinen Aufenthalt an der Front viel einfacher. Jetzt konnte ich mich auf den Feind konzentrieren.“

Was das genau heißt? „Als Scharfschütze erschießt du immer zuerst die Offiziere. Dadurch werden die feindlichen Einheiten destabilisiert. Denn ohne Führung bricht Panik und Chaos aus“, erklärt sie in dem ZDF-Beitrag: „Ein Scharfschütze gibt einen, vielleicht zwei Schüsse ab. Nach dem zweiten Schuss kennt der Feind deine Position. Dann versuchen sie, dich mit schweren Waffen auszuschalten.“

Sie erzählt davon, wie sie in Butscha eingesetzt wurde, und dort „alles in Trümmern“ lag. „Ich hatte das Gefühl, dass die Russen einfach alles zerstören wollten“, meint sie: „Während dieses Krieges dachte ich, ehrlich gesagt, dass es mit mir nicht gut enden würde. Weil es so viele Verluste gab. Ich habe viele meiner Kameraden verloren.“

Während der Kämpfe lernte sie aber auch online eine neue Liebe kennen, einen anderen ukrainischen Soldaten, der ihr später – ebenfalls digital – beim Fronturlaub in Kiew im Live-Stream einen Heiratsantrag machte. Emerald hat mittlerweile fast 70.000 Follower bei Instagram. Auch die Hochzeit im Herbst fand digital begleitet statt, und mit teils etwas martialisch anmutenden Fotos, samt Maschinengewehr. Davor stand eine Nachricht, die den Fronteinsatz der „ukrainische Jeanne d‘Arc“ jedoch abrupt beendete. Emerald ist schwanger.

„Als ich feststellte, dass ich schwanger war, habe ich, ehrlich gesagt, die ersten 30 Minuten geweint. Mir war klar, dass ich mich eine Weile vom Krieg und von der Arbeit als Scharfschütze verabschieden musste. Das hat mir das Herz gebrochen“, erzählt sie: „Und ich habe mich geschämt, weil ich dem ukrainischen Volk geschworen hatte, dass ich in diesem Krieg kämpfen würde, bis er vorbei ist. Aber ich war schwanger, also musste ich mein Versprechen brechen.“

Jetzt hat sie vor allem einen Wunsch für ihre noch ungeborene Tochter und für die anderen Kinder im Land. Emerald: „Ich möchte, dass sich ihre Generation in einem friedlichen und freien Land entfalten kann. Damit nie wieder Krieg ist.“