Sagen Sie doch die Wahrheit, Herr Scholz! Wieso der Kanzler wirklich nach Lissabon fliegt

An diesem Mittwoch reist der Bundeskanzler nach Portugal. Scholz werde Ministerpräsident António Costa zu politischen Gesprächen treffen, teilt eine Regierungssprecherin mit. Dabei würden „vor allem bilaterale Themen, europapolitische Fragen sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine zentrale Rolle spielen“. Anschließend seien eine gemeinsame Pressekonferenz und ein TV-Interview des Kanzlers geplant.

Den Morgen darauf werde er „einen Termin bei Volkswagen in Lissabon wahrnehmen und anschließend nach Berlin zurückreisen“. Hört sich nach Regierungsroutine an. Doch Scholz hat in Lissabon noch einen anderen Termin.

Die portugiesische Schwesterpartei der SPD, die Partido Socialista, wird an diesem Mittwoch 50 Jahre alt. Und zu ihrer Jubiläumsfeier hat sie einen besonderen Gast eingeladen: Olaf Scholz. Am Abend wird der Bundeskanzler an einem feierlichen Abendessen in Lissabon teilnehmen.

Seit Monaten in Portugal bekannt, erst seit Freitag in Berlin

Auf ihrer Homepage kündigt die Sozialistische Partei seit Mitte Januar eine Rede des Bundeskanzlers an. Ein Countdown zählt die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. In Deutschland weiß man seit vergangenem Freitag von Scholz’ Reise. Im Pavillon Carlos Lopes werden abends auch der Premierminister und Generalsekretär António Costa sowie der frühere spanische Ministerpräsident Felipe Gonzalez erwartet.

Fliegt Scholz, der in der SPD kein herausgehobenes Amt bekleidet, weder Parteivorsitzender noch Stellvertreter ist, also zu einem politischen Antrittsbesuch bei seinem portugiesischen Pendant und nimmt die Parteifeier mit – oder ist es genau umgekehrt?

Tatsächlich fällt auf den heutigen Tag ein unverschiebbarer Termin. Denn am 19. April 1973 wurde die Sozialistische Partei Portugals gegründet – aber nicht in Lissabon, sondern in Bad Münstereifel. Es waren die Monate vor der Nelkenrevolution in Portugal. Ein Jahr später beendete sie die längste Militärdiktatur Westeuropas. Doch war nicht klar, in welche Richtung sich das Land entwickeln würde.

Die portugiesischen Sozialdemokraten mussten im Untergrund agieren. Gut organisiert waren die Kommunisten. In Europa und den USA ging die Angst um, das ganze Land könnte kommunistisch werden. Noch 1975 erklärte der damalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger, er glaube, schon 1976 werde Portugal entweder kommunistisch oder unter starkem Einfluss des Kommunismus stehen. In dieser Phase halfen die deutschen Genossen und unterstützen die Gründung der PS.

Die Berliner Zeitung wollte von der Bundesregierung daher wissen, wann die Reise des Kanzlers auf den 19. April terminiert worden ist – und wann die Einladung für die Parteiveranstaltung bei Scholz einging. Doch auf diese Fragen antwortete das Kanzleramt nicht. Auch in welcher Funktion Scholz an dem Event teilnehmen wird, also etwa als Partei- oder Regierungsvertreter, wollte die Sprecherin nicht sagen.

Parteiveranstaltung ohne Parteivorsitzende

In einer älteren Version der Ankündigung der Feier in Lissabon war auf der Website der Sozialistischen Partei noch von „do dirigente do SPD“, der Führungsfigur der SPD, die Rede. Zwischenzeitlich ist der Fehler den portugiesischen Sozialisten wohl aufgefallen. Parteivorsitzende sind Saskia Esken und Lars Klingbeil. Beide reisen nicht nach Lissabon, teilte ein Parteisprecher mit. Allerdings werde Scholz ein Schreiben der Parteichefs „zum 50. Geburtstag“ übergeben. Mittlerweile wird er von der Partido Socialista als Bundeskanzler angekündigt.

Wieso der Kanzler den eigentlichen Anlass seiner Reise in den Hintergrund zu rücken versucht, ist unklar. Immerhin gelang es den portugiesischen Sozialdemokraten, eine kommunistische Regierung in Portugal zu verhindern. Eine Erfolgsgeschichte, an der die Partido Socialista maßgeblich beteiligt war. Aber vielleicht gibt es ja heutzutage in Deutschland Genossen, die auf diesen Erfolg gar nicht mehr so stolz sind.